Eschenhahns öffentliches Wohnzimmer

von 19.07.20210 Kommentare

Meine Tochter liest gerade “Sandra. Detektivin in Jeans”. Das ist ein Jugendroman von Margot Kreuter aus dem Jahr 1981. Meine Frau erkannte es sofort und bemerkte, dass sie das in ihrer Jugend auch gelesen habe. Das Buch stammt aber aus der Eschenhahner Büchertauschbox. Und irgendeine Eschenhahnerin oder ein Eschenhahner hat es wahrscheinlich ausgelesen gehabt und es dort für die Allgemeinheit deponiert.

Den Eschenhahner Bücherschrank gibt es seit dem 7. November 2020 und sein Architekt heißt Helmut Pötzl. Während andere Orte, die sich der Bewegung der öffentlichen Bücherschränke angeschlossen haben, oft auf Regale zurückgreifen, sehr populär sind übrigens auch ehemalige Telefonzellen, hat sich Eschenhahn für eine Lösung entschieden, die sich gut ins Dorfensemble fügt und den Platz vor dem Dorfgemeinschaftshaus, den schon eine hölzerne Sitzgruppe schmückt, noch weiter aufwertet. Besonders bei schönen Wetter lädt der Platz dazu ein, als öffentliches Wohnzimmer Eschenhahns zu fungieren.

Die Idee des öffentlichen Bücherregals entstand in Deutschland in den 1990er Jahren, zunächst in Großstädten und war ursprünglich als Kunstprojekt gedacht. Seit der Jahrtausendwende erobert das Konzept auch den ländlichen Raum und ist damit ganz klar ein deutsches Phänomen. Nirgendwo auf der Welt gibt es so viele öffentliche Bücherschränke wie in Deutschland. Allein in Hessen sind offiziell 219 Bücherschränke gelistet, Eschenhahn inklusive. Anfangs gab es noch Vorbehalte, vor allem seitens der Buchläden. Mittlerweile betreiben Buchläden eigene Regale vor dem Geschäft, um Neukunden anzulocken. Denn ein öffentliches Bücherregal lockt mit Zufallsfunden, während eine Buchhandlung sortiert ist und Neuveröffentlichungen anbietet. Echte Konkurrenz ist das also nicht, eher eine zusätzliche Bereicherung.

In Eschenhahn ist es ein Ort, den man an 24 Stunden aufsuchen, und an dem jeder fündig werden kann. Der mögliche Zufallsfund ist es auch, der immer wieder aufs Neue dazu reizt, den Bereich vor dem Dorfgemeinschaftshaus zum Ziel eines Spaziergangs zu machen.