Wenn ich nicht – wie in unter den aktuellen Umständen – rund um die Uhr zu Hause bin, bin ich überall und nirgends, eben mitten im Leben: Arbeiten, Familie unterstützen, Freunde treffen, im Chor singen, Ortsbeiratssitzungen, Lokalpolitik, Fortbildungen, Kultur, Reisen, Projekte, Einkaufen und und und …

Manche Tage sind gefühlt wie im Schleudergang:  eine Woche vergeht wie im Flug und schon oft habe ich mich sagen hören: „Ich brauche einfach nur 48 Stunden Tage und schon ist das Thema gelöst!

Da ich einen sehr großen Teil dessen, was ich tue, wirklich gerne mache (Nein! Ablage und Steuererklärung werden niemals mein liebstes Hobby werden) und weil mein Beruf meine gelebte Berufung ist, macht mir das nichts. Da meine Familie der allergrößte Schatz ist, kümmere ich mich gerne darum, unserem 84jährigen Vater zu ermöglichen, dass er in seinen vier Wänden (wo er sein ganzes Leben wohnt!) einen lebenswerten Alltag hat. Er ist jetzt Lebenskünstler und ich bin seine Managerin. Und ich liebe es, wen meine 2,5 Jahre alte Enkelin mich am Wochenende davon abhält Ordnung im Arbeitszimmer zu schaffen und wir stattdessen die Welt mit Ihren leuchtenden fröhlichen Kinderaugen entdecken und häusliches Chaos kreieren.

All das ist ganz normal und selbstverständlich, wenn man so wie ich, überzeugt nach dem 11. Gebot lebt: „Du sollst Gott nicht langweilen!“

Und nun ist plötzlich alles anders. Das Haus verlassen wird zur ungewohnten Ausnahme. Ein Spaziergang ums Dorf, lässt mich unsere kleine Welt mit anderen Augen sehen. Dem Frühling ist das Virus egal! Der Sonne strahlt mit dem Himmel um die Wette und das schon seit Tagen. Und irgendwie habe ich das Gefühl, dass die Natur aufatmet, der Himmel so blau ist, wie ich es aus meiner Kindheit in den 70er Jahren erinnere und dass Tiere, Pflanzen, Bäume sich freuen, über weniger Verkehr, weniger CO2, weniger Hektik und mehr Ruhe.

Doch ich sehe auch Schatten:

Beim Bäcker haben sich die morgendlichen Durchreisekunden und damit die verkauften Backwaren erheblich reduziert. Die Existenz unserer geliebten Bäckerei, eines der wenigen Geschäfte in unserem Dorf, ist durch dieses kleine Virus bedroht. Dabei ist hier, bedingt durch die Regelung, dass maximal zwei Personen sich im Innenraum aufhalten dürfen, die Ansteckungsgefahr auf ein Minimum reduziert. Ich frage mich, ob das allen bewusst ist und ob sie ihr tägliches Brot nicht bei Aldi sondern hier im Dorf kaufen. Der Blick der Mitarbeiterin lässt anderes vermuten.

Ich kommuniziere mit James von James Garage. Ich kenne ihn als unglaublich hilfsbereiten sympathischen jungen Familienvater und Geschäftsinhaber. Noch keine Ewigkeit in Eschenhahn wohnend, engagiert er sich, wo Hilfe gebraucht wird. Auch ihm sind, durch den Wegfall von Inspektionen und Räderwechseln, Kunden weggebrochen. Noch gibt es ein paar Projekte, aber wie lange noch?

Corona verändert irgendwie alles und für jeden etwas. Auf dem Rückweg kreuze ich die Hauptverkehrsstraße. So viel weniger Autos, auch ohne Umgehung. Alles ist ruhiger und auch mitten in der Woche umhüllt Eschenhahn eine fast meditative Stille. Und ich merke, dass diese kollektive Entschleunigung irgendwie gut tut. Einfach gehen, ohne den nächsten Termin im Blick zu haben oder vielleicht während des Gehens einen dringenden Anruf zu tätigen. Gehen um des Gehens Willen.

Wenn da nicht die stetig steigenden Zahlen von Betroffenen wären, die Bilder aus Italien und der Welt, und die wirtschaftlichen Folgen, wenn all diese negativen Konsequenzen nicht wären, dann könnte man meinen, dass dieses kleine Virus dazu da ist uns daran zu erinnern, worum es im Leben wirklich wirklich geht und daran, was wichtig und wesentlich ist:

Menschen, die füreinander da sind, Zeit wertvoll miteinander zu verbringen, eine gute Anbindung an die Natur, einen gesunden Wechsel von aktiven und ruhigen Momenten und vor allem Gesundheit. Ohne Gesundheit nützt weder ein prall gefülltes Konto, noch ein dickes Auto vor der Tür. Und aller Reichtum nutzt nichts ohne Menschen, die für einen da sind und für die man da sein kann.

Und ich komme zurück von meinem täglichen Rundgang mit einem tiefen Gefühl von Dankbarkeit!

Dankbar, dass ich die Freiheit habe, vor die Tür gehen zu dürfen.
Dankbar seit 12 Jahren in genau diesem Dorf zu leben.
Dankbar für all die Menschenschätze, die mein Leben bereichern.
Dankbar für meine Arbeit und die Aufgaben, die ich in meinem Leben habe.
Dankbar dafür, dass meine Erkältung nur eine um diese Jahreszeit übliche Erkältung war.
Dankbar für all die Menschen, die für andere da sind.
Dankbar dafür, dass ich ein solides Dach über dem Kopf habe und in eine warme Wohnung komme.
Dankbar, dass das Klopapier noch nicht ausgegangen ist.
Dankbar für das gemeinsame Singen am Sonntagabend, als kleines Zeichen unserer Dankbarkeit.
Dankbar in Deutschland zu leben.
Dankbar dafür, dass manches, was vor vier Wochen undenkbar war, plötzlich machbar ist.
Dankbar für die Zuversicht, dass Menschen die Fähigkeit haben, Krisen kreativ zu bewältigen und daran zu wachsen.

Corona, du kleines Virus, was machst Du mit uns?